Drei Fragen an…

… Prof. Dr. Matthias Glaubrecht

Die Zoologischen Gärten von Berlin dürfen sich über eine wachsende Zahl an Menschen freuen, die die Bedeutung unserer Arbeit erkannt haben und mit uns für ein gemeinsames Ziel kämpfen: den Erhalt der Artenvielfalt auf unserem Planeten. An dieser Stelle möchten wir mit einigen von Ihnen ins Gespräch kommen und erfahren, was sie antreibt und warum sie uns unterstützen. Dieses Mal sprechen wir mit Prof. Dr. Matthias Glaubrecht. Der bekannte Evolutionsbiologe, Wissenschaftsjournalist und Buchautor arbeitete von 1997 bis 2014 im Museum für Naturkunde Berlin und war dort als Kurator der Mollusken-Sammlung und als Leiter der Forschungsabteilung tätig. Nachdem er im Anschluss bis 2021 Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde in Hamburg war, ist er seitdem Wissenschaftlicher Projektleiter des neuen Naturkundemuseums „Evolutioneum“ am Leibnitz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB). 2023 wurde Prof. Dr. Matthias Glaubrecht von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit dem Sigmund-Freud-Preis ausgezeichnet.
 

Redaktion: Warum ist der Mensch – Sie beschreiben ihn auch als „Raubtier“ – so ein entscheidender Faktor beim Rückgang der Biodiversität?

Matthias Glaubrecht: Unsere Wurzeln liegen aufgrund unserer Primatenvergangenheit im Tierreich.  Unsere Natur ist die Kultur geworden, denn wir haben in der Evolution unsere mentale Kapazität dann auch für andere Dinge genutzt als das blanke Überleben. Vor 12.000 – 10.000 Jahren hat der Mensch, nachdem er 99% seiner Evolutionszeit nomadisch als Jäger und Sammler unterwegs war, seinen Lebensstil komplett geändert. Natürlich auch über die Jagd, bei der er die Megafauna ausrottete, aber dann vor allem durch Sesshaftigkeit, Domestikation von Haustieren, und Landwirtschaft hat er die Erdoberfläche, überall wo er auftauchte, massiv verändert und Spuren in der Pflanzen- und Tierwelt hinterlassen.

Durch diese Veränderung der Biosphäre haben wir Menschen ein Artensterben ausgelöst. Nur ein Beispiel: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es noch etwa 100.000 Tiger auf der Erde, heute sind es nur noch knapp 4.000.

Unser Bevölkerungswachstum und die schiere Größe der Weltbevölkerung haben einen entscheidenden Einfluss. Zum einen ist da die immens hohe Bevölkerungsdichte im globalen Süden mit den dort vorherrschenden Faktoren und Problemen, wie Armut und Hunger und das daraus resultierende Verteilungsproblem als Folge von Kriegen und Unzulänglichkeiten der politischen Verantwortlichen. Zum anderen gibt es den Teil der Bevölkerung mit der geringeren Zahl an Menschen, die jedoch einen viel höheren Verbrauch an Ressourcen für sich reklamieren.

In beiden Hemisphären aber ist die Hauptursache des Artensterbens die Landnutzung des Menschen, denn alle Flächen, die wir zur Verfügung haben, nutzen wir für unsere eigene Ernährung und das drängt den Lebensraum anderer Arten zurück.  Wir werden viele Arten verlieren, die wir gar nicht kennen oder noch nicht beschrieben haben. Wir sind inzwischen ein Evolutionsfaktor geworden, verlangen der Erde zu viele Ressourcen ab und beenden dadurch jetzt die Evolution von vielen Arten auf ganz dramatische Art und Weise. Die Auswirkungen davon allerdings haben wir noch nicht verstanden.
 

Redaktion:Täglich sterben etwa 150 Arten aus. Von vielen davon bekommen wir nichts mit, von einigen schon; die Mückenstiche in den Sommermonaten werden weniger, auf langen Autofahrten ist die Windschutzscheibe nicht mehr mit Insekten zugekleistert. Gibt es „positiven“ Artverlust?

M.G.: Tatsächlich ist der Artenschwund fatal – auch für uns Menschen! In Industrieländern wie Deutschland sind nachweislich in den letzten 30 Jahren knapp 80% der Biomasse an Fluginsekten in den Sommermonaten verloren gegangen. Diese stehen somit anderen Arten in der Nahrungskette nicht mehr zur Verfügung. Schlicht und ergreifend bedeutet das bei uns hungernde Vögel. Auch bei Körnerfressern zum Bespiel wird der Nachwuchs mit Insekten gefüttert - in Ackerlandschaften jedoch finden sie kaum noch Insekten vor, weil wir diese vergiftet haben,und es fehlen noch geeignete Lebensräume. In der EU wurde in den letzten 40 Jahren ein Schwund von fast 600 Millionen Vogelindividuen verzeichnet, also auch hier geht die Biomasse zurück. In den USA sind zum Vergleich seit 1970 drei Milliarden Vögel verschwunden. Die Masse an Tieren geht drastisch zurück, weil wir ihnen den Raum zum Leben nicht mehr lassen. Und bei Vögeln würde doch niemand sagen „Super, endlich sind die weg“. Bei einigen Insekten wohl schon. Menschen haben da eine selektive Wahrnehmung; Insekten stören, weil die Scheibe nach einer Autofahrt sauber gemacht werden muss. Was dabei jedoch völlig verkannt wird, ist zum Beispiel die ökonomisch und ökologisch wichtige Rolle der Insekten als Bestäuber insgesamt: Wir haben hier eine unentgeltliche Ökosystemdienstleistung im Gegenwert von 500 Milliarden US Dollar pro Jahr. Das wäre der Betrag, den wir aufwenden müssten, wenn wir diese Leistung künstlich hervorbringen wollten. Zwei tropische Mückenarten sind beispielsweise für die Bestäubung von Kakao verantwortlich. Ohne die gäbe es keine Schokolade mehr. An so einem Beispiel sieht man: Keiner ist unnütz. Wir können nicht auf bestimmte Arten verzichten. Sie hängen alle zusammen und bilden Ökosysteme. Sie sind Kettenglieder und je mehr wir davon herausnehmen, wie bei Maschen eines Netzes, desto schwächer und lückiger wird dieses Netz. Diese funktionelle Biodiversität muss erhalten werden, denn wir wissen viel zu wenig über die Funktionalität der einzelnen Kettenglieder. Somit brauchen wir Artenvielfalt. Meines Erachtens ist es daher sinnvoll 30% der Landfläche der Erde unter Naturschutz zu stellen. Dies dient dann als Flächenschutz dazudie Biodiversität auf der Erde zu erhalten. Überhaupt müssen wir eine Lebensweise entwickeln, die nicht so destruktiv für andere Arten ist.


Redaktion: Was können wir Ihrer Meinung nach tun, um dem Artensterben entgegen zu wirken oder ist es schon zu spät?

M.G.: Wir müssen jetzt handeln! Es ist noch nicht zu spät, aber es wird höchste Zeit. Erst seit etwa ein bis zwei Jahrzehnten ist uns klar, in welchem Ausmaß wir Biodiversität verlieren. Es ist also dringend notwendig unseren gesamten Ressourcenverbrauch zu ändern, aber das geht nicht von heute auf morgen. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel.  Als ich anfing mein Buch vom „Ende der Evolution“ zu schreiben, war ich zuerst frustriert von den vielen negativen Fakten und der Botschaft, die ich da verbreite, aber sowohl im Buch, bei Vorträgen und bei Diskussionen komme ich inzwischen zu dem Schluss: Wir können durchaus etwas tun!  Das geht meiner Meinung nach über einen wirksamen Flächenschutz. Wir dürfen uns weder vor der eigenen Haustür noch in anderen Ländern erlauben, dass weiterhin große Flächen abgeholzt werden oder sie einseitig nur für Landwirtschaft genutzt werden. Wir müssen zu einer Flächennutzung kommen, die auch anderen Arten ihren benötigten Lebensraum lässt. Und da ist die gute Nachricht: Durch Konsumverhalten, wie etwa Palmöl vermeiden, lokales Einkaufen, Vermeidung von allzu viel Fleisch, von Massentierhaltung und Wildtiermärkten, aber auch durch die Gestaltung unserer Gärten und unserer Städte können wir sehr viel bewirken.

Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten

Der Klimawandel ist endlich in aller Munde. Doch so alarmierende Ausmaße er auch angenommen hat – er ist nur Nebenschauplatz angesichts der apokalyptischen Reiter, die in einem Akt der Verwüstung gegenwärtig über die Erde ziehen: Bevölkerungsexplosion, Ressourcenverknappung, Umweltzerstörung und Artensterben.

In seiner ebenso umfassenden wie beklemmenden Analyse sieht der renommierte Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht mit dem sich abzeichnenden Massenexitus, dem größten Artenschwund seit dem Aussterben der Dinosaurier, eine weltweite biologische Tragödie auf uns zukommen. Der Mensch ist heute so zum größten Raubtier und zum entscheidenden Evolutionsfaktor mutiert, der die Existenz aller Lebewesen – auch seine eigene – gefährdet.

Ob das Ende der Evolution, das spätestens ab Mitte des 21. Jahrhunderts ein realistisches Szenario zu werden droht, noch aufzuhalten sein wird, darüber wird allein unser Tun in den unmittelbar vor uns liegenden Jahrzehnten entscheiden.

Das Buch ist im Handel erhältlich.

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