Die Reise der Wisente

Von der Arche zurück in die Wildnis

„Die Quellen der Urflut und die Schleusen des Himmels wurden geschlossen; der Regen hörte auf, vom Himmel zu fallen, und das Wasser verlief sich allmählich von der Erde. […] Am ersten Tag des zehnten Monats wurden die Berggipfel sichtbar.  Nach vierzig Tagen öffnete Noah das Fenster der Arche, und ließ einen Raben hinaus. Der flog aus und ein, bis das Wasser auf der Erde vertrocknet war.“ [1.Mose 8, 2-7]

Während im biblischen Mythos ein Rabe als erstes Tier die Arche verließ, gehören in der jüngeren Geschichte die größten Landsäugetiere Europas zu den ersten Passagieren, die nach langer Reise wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren durften und nur knapp dem Aussterben entkamen.

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    Rückkehr der Riesen

    Für die 20-köpfige Wisentherde, die in den vergangenen zwei Jahren von einer speziellen „Wisent-Task-Force“ zusammengestellt und nach Aserbaidschan gebracht wurde, war im Dezember 2021 der große Moment gekommen: Nach einer Eingewöhnungsphase im 300 Hektar großen Auswilderungsgehege am Fuße des Großen Kaukasus, öffneten sich nun die Tore zur Kernzone des rund 130.000 Hektar großen Shahdag-Nationalparks. Damit leben nun endlich wieder wilde Wisente in Aserbaidschan.

    Metallvogel statt Holzkahn

    Einst waren Wisente in weiten Teilen Europas zu finden. Doch schrumpfende Lebensräume und Jagd führten bereits ab dem 11. Jahrhundert zum Rückgang der Wisent-Populationen. 1927 wurde dann der letzte Wisent im Kaukasus erschossen.Damit waren die majestätischen Wildrinder in ihrem natürlichen Lebensraum ausgerottet. Zoologische Einrichtungen wurden zur rettenden Arche, die das Überleben der Wisente sicherstellte. Der Stellvertretende Zoologische Leiter des Tierpark Berlin, Dr. Florian Sicks, begleitete erst kürzlich weitere neun Wisente auf der Reise ihres Lebens: Im Bauch einer Boeing 747 ging es für die Reisegruppe von Frankfurt/ Hahn nach Baku. Wir haben mit ihm über das Abenteuer Auswilderung gesprochen.

    Herr Dr. Sicks, von einem der wildesten Orte Berlins in den noch wilderen Kaukasus - wie war die Reise?

    Aufregend. Der Flug in der Frachtmaschine war für mich und meine Kollegen vom WWF vermutlich ähnlich ungewohnt wie für die Wisente. Ein bisschen nervös ist man trotz langfristiger Planung und sorgfältiger Vorbereitungen natürlich schon. Zwischen dem letzten Tierarzt-Check im Tierpark Berlin bis zum Öffnen der speziell angefertigten Transportboxen im Vorgehege des Nationalsparks lagen rund 4.000 km. Auch wenn wir nicht selbst am Steuer saßen, tragen wir für unsere tonnenschwere Fracht ja dennoch die Verantwortung. Als dann alle Tiere wohlbehalten im Nationalpark ankamen, fiel mir ein großer Stein vom Herzen. Für mich persönlich war das schon ein besonderes Erlebnis. Eine Auswilderung begleitet man nicht täglich und solche Höhepunkte erinnern einen zwischen all der Routine des Alltags, die inzwischen ja überwiegend am Schreibtisch stattfindet, wofür man das alles eigentlich macht. Gerade weil das Überleben der Wisente keine Selbstverständlichkeit ist, freuen uns solche Erfolge umso mehr. Für viele andere Arten, wie die Stellersche Seekuh, den Beutelwolf oder das Quagga kommt unsere Hilfe bereits zu spät…

    Wonach entscheidet sich, welche Tierart bereit ist, die Arche zu verlassen? Welche Voraussetzungen müssen für eine Wiederansiedlung erfüllt sein?

    Die Wiederansiedlung von in der Natur ausgerotteten Tieren ist ein enormer Kraftakt. Kein Land, kein Zoo und keine Umweltorganisation können eine solche Mamut-Aufgabe wie eine Wiederansiedlung von Tieren allein stemmen – noch dazu wenn es so große sind. Bei Projekten wie der Rückkehr der Wisente wird deutlich: Artenschutz ist Teamarbeit. Nur durch eine langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit von internationalen, nationalen und nicht zuletzt lokalen Partnern kann so etwas gelingen. Es braucht viel Beharrlichkeit, Mut und Geduld auf allen Seiten. Denn Rückschläge sind leider immer auch Teil von solchen Erfolgsgeschichten. Eine wichtige Basis für eine Wiederansiedlung ist zunächst ein geeigneter Lebensraum für die Tiere. Auch die ursprünglichen Ursachen des Aussterbens wie z.B. Jagd, müssen wir dort mittel- bis langfristig ausschließen können. Es braucht außerdem einen politischen Willen und die nötigen finanziellen Ressourcen. Fehlt ein Glied in dieser Kette ist das Projekt früher oder später zum Scheitern verurteilt. Entscheidend ist auch die Unterstützung der lokalen Bevölkerung. Das können wir hier auch gut am Beispiel des Wolfes sehen. Oftmals sind es gar nicht die Tiere, die noch nicht bereit sind für eine Auswilderung, sondern vielmehr die Menschen.

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    Welche Rolle spielen Zoo und Tierpark Berlin bei der Wiederansiedlung?

    Für dieses gemeinschaftliche Projekt bedarf es nicht nur eines geeigneten Gebietes und der langjährigen Erfahrung in der Wiederansiedlung von Wisenten. Es braucht natürlich auch das allerwichtigste: Die Tiere. Und hier kommen Zoologische Gärten ins Spiel. Wir verfügen über die nötige Expertise und jahrzehntelange Praxiserfahrung, was Haltung, Behandlung und Transport von Wildtieren angeht und kennen uns auch damit aus, erfolgreiche Zuchtgruppen zusammenzustellen. Deshalb war der zoologische Dachverband EAZA, in dem die europäischen Zoos vereinigt sind, von Anfang an Teil des internationalen Expertenteams. Und Berlin ist schon immer ein wichtiger Schauplatz in der Erfolgsstory der Wisente – die mit nur 54 verbliebenen Tieren fast als historische Tragödie geendet hätte. Im Zoo Berlin wurde 1923 die „Internationale Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents“ gegründet, die den Grundstein zum heutigen Erhaltungszuchtprogramm legte. Schon seit 1872 zählen Wisente zum Tierbestand des Zoo Berlin. Auch der Tierpark trägt seit seiner Eröffnung 1955 zur Erhaltungszucht der Wisente bei. Bis heute wurden in den Zoologischen Gärten Berlin über 200 Wisente geboren. Und dass sie nun von Berlin aus wieder ihren natürlichen Lebensraum zurückerobern, macht diese dramatische Erfolgsgeschichte doch quasi filmreif. Anstatt ein Symbol für das Artensterben zu werden, ist das Wisent heute wie der Große Panda zum Sinnbild für erfolgreichen Artenschutz geworden.

    Bartgeier fliegen wieder über den Alpen, Przewalskipferde grasen in den Steppen der Mongolei und das größte Landsäugetier Europas kehrt wieder zurück. Ist die Sintflut nun überstanden und gibt es Grund zur Hoffnung?

    Wenn man die Sintflut mit dem derzeitigen - vom Menschen verursachten - Artensterben gleichsetzt, dann kann von Rettung hier noch keine Rede sein. Maximal für einige Arten, für die wir Menschen uns besonders eingesetzt haben, ist langsam wieder Land in Sicht. So auch für die Wisente. Die biblischen Bergspitzen, die da aus den Fluten auftauchen sind für sie aktuell in Polen, Rumänien, die Ukraine und Russland. In Deutschland hat der Mensch die Natur so nachhaltig verändert, dass sich hier momentan kaum Lebensräume für so große Tiere finden. Beispiele wie diese zeigen aber, dass das Prinzip der Arche funktionieren kann. Und dass es sich lohnt, Tierarten mit aufzunehmen für die wir im Moment vielleicht noch kein rettendes Ufer in Aussicht haben. Der Harz war 17. Jahrhundert beispielsweise völlig abgeholzt, nun leben dort wieder Luchse und wandern von dort sogar in andere Gebiete. Doch selbstverständlich ist auf der Arche kein Platz für alle bedrohten Arten. Die Rote Liste der Weltnaturschutzunion IUCN stuft derzeit rund 40.000 Arten als bedroht ein. Deshalb ist unsere zweite Aufgabe mindesten so wichtig wie die Erhaltungszucht: Bildung. Wir Zoos verstehen uns als Tore zur Wildnis, die Menschen den Zugang und Bezug zur Natur ermöglichen – vor allem denen, die ihn durch ein sehr technisiertes Leben in der Stadt bereits verloren haben. Und auch hier kämpfen wir nicht allein. Zusammen mit vielen anderen Umwelt- und Artenschützern ziehen wir am gleichen Strang und arbeiten auf dasselbe Ziel hin: Menschen für Tiere und Natur zu begeistern, sie für ihren Schutz zu sensibilisieren und so viele Arten wie möglich vor dem Aussterben zu retten. Dass ein ehemals ausgerottetes Tier als inzwischen nur noch „gefährdet“ heruntergestuft wird, ist bisher leider noch eine Ausnahme – gibt uns aber Grund zur Hoffnung.

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    Heute, 26. April
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