Eisbärin Tonja wurde als junge Bärin in Russland vertauscht

Genanalyse liefert neue Erkenntnisse zur Abstammung – Hertha und Tonja bleiben Berlinerinnen

Im vergangenen Jahr tauchten im Zoo Moskau Unterlagen auf, welche Zweifel an der Abstammung der Tierpark-Eisbärin Tonja aufkommen ließen. Eine daraufhin vom Tierpark Berlin in Auftrag gegebene Genanalyse lieferte nun das Ergebnis: Tonja wurden vor ihrem Umzug nach Berlin vor mehr als 10 Jahren die falschen Dokumente zugeordnet. Bevor Tonja nach Berlin zog, war sie – zeitgleich mit einer gleichaltrigen Bärin – in Moskau in Quarantäne. Als Folge dieser Verwechslung soll Tonja in absehbarer Zeit keinen weiteren Nachwuchs bekommen, kann aber gemeinsam mit ihrer Tochter Hertha bis auf weiteres in Berlin bleiben.

Der Biologin Marina Galeshchuk aus dem Zoo Moskau fielen 2020 bei der Durchsicht älterer Unterlagen widersprüchliche Angaben bezüglich des Geburtsdatums von Eisbärin Tonja auf: Während in allen bislang vorliegenden Unterlagen der 14.11.2009 als Geburtsdatum angeführt war, tauchte nun ein Dokument auf, in dem der 16.11.2009 als Geburtsdatum angegeben wurde. Tatsächlich gab es damals bei einer anderen Eisbärfamilie in Moskau beinah zeitgleich zur Geburt Tonjas ein weiteres weibliches Jungtier, das in den offiziellen Unterlagen mit Geburtsdatum 16.11.2009 gelistet ist. Umgehend hat der Tierpark Berlin, in dem Tonja seit Januar 2011 lebt, in Absprache mit dem Europäischen Erhaltungszuchtprogramm für Eisbären (EEP) das Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) um eine Elternschaftsanalyse der Eisbären gebeten. Die Forscher*innen stellten dabei fest, dass Tonjas Eltern nicht, wie bisher angenommen, die Eisbären Untay und Murma sind, sondern Vrangel und Simona. Marina Galeshchuk, seit Sommer 2020 Koordinatorin des EEP, erklärt: „Unser Ziel ist es, im Sinne des Artenschutzes eine genetisch möglichst vielfältige Eisbärpopulation zu erhalten.“ Da die Abstammungslinie von Vrangel und Simona in Europa sehr stark repräsentiert ist, hat das EEP in einer Sondersitzung nun entschieden, dass Tonja vorerst keine weiteren Nachkommen haben soll.

Das gleiche gilt für ihre Tochter Hertha, die Ende 2018 im Tierpark Berlin gesund zur Welt kam. Von den selben Eltern wie Tonja stammt auch Herthas Vater ab, der Eisbären-Mann Wolodja, der am 27.11.2011 in Moskau zur Welt kam. Herthas Eltern sind also Bruder und Schwester. „Wäre uns das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Tonja und Wolodja bekannt gewesen, hätten wir die beiden Eisbären selbstverständlich nicht für eine Zucht empfohlen. Das war ein Fehler“, so Marina Galeshchuk.

Bevor Tonja ihren Nachwuchs Hertha erfolgreich aufzog, verstarben einige Jungtiere bereits in den ersten Lebenswochen, darunter auch der Eisbär Fritz. Dessen Obduktion wurde im Leibniz-IZW in der Wildtierpathologie durchgeführt. Der Tierpark Berlin hat hierzu Prof. Dr. Achim Gruber, Direktor des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin, zu Rate gezogen, um zu klären, ob ein Zusammenhang zwischen dem Verwandtschaftsverhältnis der Elterntiere und dem Tod der Jungtiere besteht: Dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen – sowohl für Eisbär Fritz, dessen Todesursache multiples Organversagen aufgrund einer Leberschädigung war, als auch beim weibliche Jungtier (ohne Namen), das 2017 kurz nach der Geburt an einer Lungenentzündung infolge aspirierter Milch gestorben war. „Es besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, eine solche Vermutung anhand von wissenschaftlichen Analysen abschließend zu bestätigen oder auszuschließen – eine Diskussion darüber wäre also reine Spekulation“, erklärt Prof. Dr. Achim Gruber. Die Jungtiersterblichkeit ist bei Eisbären auch im natürlichen Lebensraum hoch: Vier von fünf Jungtieren erreichen das zweite Lebensjahr nicht. In menschlicher Obhut überleben immerhin 50%.

Das Ergebnis der Genanalyse war für alle Beteiligten im Tierpark Berlin ein Schock. „Für die verantwortungsvolle Arbeit des Europäischen Erhaltungszuchtprogrammes ist dieser folgenschwere Fehler ein sehr bedauerlicher Rückschlag“, macht Zoo- und Tierparkdirektor Dr. Andreas Knieriem deutlich und betont: „Es muss jetzt darum gehen, aus solchen Fehlern zu lernen und unsere Arbeit in allen Bereichen noch stärker auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Wir werden daher noch intensiver mit wichtigen Partnern wie dem Leibniz-IZW und der Freien Universität zusammenarbeiten. Unsere Möglichkeiten sind da heute ganz andere, als noch vor 10 Jahren.“ Für die Zukunft der Eisbären sei es wichtig, dass dank der Genanalyse nun Klarheit bestehe, so Knieriem. „Gemeinsam mit dem EEP haben wir beschlossen, dass Hertha und Tonja nun bis auf Weiteres Berlinerinnen bleiben werden. Die Tatsache, dass die beiden putzmunteren Bärinnen sich bestens miteinander verstehen, ändert sich glücklicherweise nicht.“

Chronologie der Eckdaten:

  • 14.11.2009: Geburt eines weiblichen Jungtieres im Zoo Moskau –  Mutter: Murma, Vater: Untay
  • 16.11.2009 Geburt eines weiteren weiblichen Jungtieres in der zweiten Zuchtgruppe des Zoo Moskau – Mutter: Simona, Vater: Vrangel
  • Januar 2011: Zwei weibliche Eisbären in Quarantäne im Zoo Moskau
  • Januar 2011: Ankunft, Eisbärin Tonja im Tierpark Berlin
  • 27.11.2011 Geburt eines männlichen Jungtieres im Zoo Moskaus (Wolodja) – Mutter: Simona, Vater: Vrangel
  • August 2013: Eisbär Wolodja zieht in den Tierpark Berlin
  • 3. November 2016: Geburt Eisbär Fritz
  • 3. März 2017: Tod Eisbär Fritz
  • 7. Dezember 2017: Geburt weibliches Eisbär-Jungtier
  • 2. Januar 2018: Tod weibliches Eisbär-Jungtier
  • 1. Dezember 2018: Geburt Eisbärin Hertha
  • Sommer 2020: Marina Galeshchuck wird neue Koordinatorin des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms für Eisbären (EEP) und entdeckt im Zuge dessen Hinweise, die Zweifel an der korrekten Abstammung von Eisbärin Tonja aufkommen lassen, und informiert den Tierpark Berlin
  • August 2020: In Abstimmung mit dem EEP bereitet der Tierpark Berlin eine genetische Analyse von Eisbärhaaren durch das IZW vor
  • Frühjahr 2021: Ergebnisse der Genanalyse bringen Gewissheit: Tonja stammt von Simona und Vrangel ab


Hintergrund: Eisbären – Botschafter aus der Arktis in Berlin

Schon 1845 – nur ein Jahr nach Eröffnung des Zoos - kam der erste Eisbär nach Berlin. Im Tierpark waren die Eisbären ab 1955 zu sehen. Weltweite Berühmtheit erlangte der 2006 geborene Berliner Eisbär Knut. Wie alle Eisbären in menschlicher Obhut haben auch die Berliner Eisbären eine wichtige Aufgabe: Sie sind Botschafter für ihre wildlebenden und bedrohten Verwandten im hohen Norden. Die stetig steigenden Temperaturen haben zur Folge, dass das Eis in der Arktis schmilzt. Das bedeutet: Der früher riesige Lebensraum der Eisbären schrumpft rasant, denn im Wasser kann ein Eisbär keine Robben jagen. Und wenn es anstatt Schnee bald nur noch Regen gibt, können Robben- und Eisbärmütter keine schützenden Höhlen für ihre Kinder mehr bauen. Auch setzen Öl- und Gasförderung, verschmutzte Meere und die Schifffahrt dem weißen Riesen sehr zu. Außerdem nehmen durch den schrumpfenden Lebensraum die Konflikte mit dem Menschen zu, weil ausgehungerte Eisbären sich zur Nahrungssuche immer dichter an menschliche Siedlungen wagen. Seit 2006 wird der Eisbär deshalb auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) als gefährdet eingestuft. Auch wenn es aktuell noch mehr als 20.000 Tiere gibt, sind die Prognosen für die nächsten Jahre düster. Einige Experten befürchten sogar, dass es in 50 Jahren keine Eisbären mehr geben wird. Neben ihrer Aufklärungsarbeit fördern die Zoologischen Gärten Berlin den Schutz der Eisbären durch Forschung auch im natürlichen Lebensraum. Sie unterstützen die Artenschutzorganisation Polar Bears International, die Verhaltensveränderungen bei der Jungtieraufzucht, bevorzugte Rückzugsräume und Wanderbewegungen im natürlichen Lebensraum erforscht. Das Ziel: Schutzzonen einrichten, in denen die Tiere genug Nahrung finden und Nachwuchs ungestört großziehen können.

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